Natürlich war Amelia immer noch skeptisch, was diese Sache anbetraf. Es war nun auch sicherlich kein allzu alltägliches Anliegen, dass ihr entgegen gebracht wurde. Zudem hatte sie als Ärztin in einer Kolonie schon eine verdammt große Verantwortung. Die Welt befand sich seit Jahren in einem Ausnahmezustand und medizinische Versorgung wurde schleichend immer schwieriger. Sowohl die Mittel als auch das medizinische Personal existierte einfach nicht mehr wie Sand am Meer… wobei vermutlich hatten sie dies sowieso noch nie. Es war eben auch eine Berufssparte, welche nicht nur Vorteile mit sich brachte. Nein, es gab auch so einige Nachteile, mit denen bestimmt nicht jeder klar kam. Umso erstaunlicher war es eigentlich schon gewesen, dass ein Mädchen – wie ich – sich bereits in so jungen Jahren für die Medizin damals interessiert hatte. Es kam mir fast noch wie gestern vor, wo gesagt wurde, dass das nur eine Phase sei. Schließlich wurde ich mit diesem Thema so sehr bombardiert, dass mir praktisch nichts anderes übrig geblieben war. Aber es war alles andere als eine Phase gewesen. Auch nach dem Beginn der Apokalypse wuchs dieses Interesse und ich war auch jetzt meiner Grandma immer noch unglaublich dankbar, dass sie alles mögliche getan hatte, damit ich dieses Interesse ausleben konnte. Mit der Zeit wurde es irgendwie auch immer mehr als nur ein einfaches Hobby für mich. Es war einfach etwas, was ich auch nun unglaublich gerne fortführen wollte… und das sagte ich nun doch ziemlich selten. Trotzdem könnte ich der braunhaarigen Ärztin aber auch nicht böse sein, wenn diese ganze Geschichte am Ende nicht funktionieren würde. Enttäuscht – ja, aber böse definitiv nicht. Ich könnte wohl auch nichts Gegenteiliges über das erzählen, was sie gerade erwähnt hatte. So sah ich stattdessen nur für einen Moment zu Boden und überlegte erneut, wie ich es am besten formulieren sollte…
Nach einigen Sekunden blickte ich erneut auf und merkte auch, dass meine Gesprächspartnerin für einen Moment etwas abwesend wirkte, was ich aber nicht hinterfragte, da es mich schlichtweg nichts anging, und mich so leise räusperte, um auf ihre Frage zu beantworten.
„Über die Jahre habe ich eine Art… ich nenn es mal Aura entwickeln können? In den allerallermeisten Fällen merke ich kurz vorher, dass sich so ein Anfall anbahnt. Manchmal auch länger im Voraus, dass es mir irgendwie nicht so gut geht, da kann ich mich dann besser darauf vorbereiten. Wenn es akut ist, kann ich mich noch setzen… zum Beispiel. Andere Personen, die mit anwesend sind, sagen auch immer, dass man es mir anmerkt. Ich sei von jetzt auf gleich irgendwie abwesend…?“ Erneut suchte ich mit meinem Blick den von Amelia. Die Symptome hatte ich ja bereits vorher erklärt. Es war einfach schwierig, sowas zu erklären. Vor allem, wenn diese Anfälle nie hundertprozentig gleich abliefen. „Und nach einer Minute ungefähr bin ich wieder da. Je nachdem kann ich direkt weiter machen… oder wenn es ganz schlimm ist, brauch ich eine kleine Pause… aber das ist auch nicht so häufig…“ Ich seufzte leise. „Es ist wirklich schwer zu erklären. Mal ist das ganze ein- bis zweimal im Monat, mal auch nur einmal alle zwei, drei Monate…“ Oder eben auch etwas häufiger, wie nach dem Tod von Nana – aber das fügte ich nur in Gedanken hinzu.
„Bevor ich ins Paradise gekommen bin, war ich knapp zwei Wochen allein unterwegs. Da war es dann nun doch ziemlich… bescheiden, aber hier hat es sich schon wieder gebessert.“ Zum Glück. Wieder stieß ich einen kaum hörbaren Seufzer aus. Es ehrte mich ja schon irgendwie, dass Amelia nicht völlig abgeneigt war, der Sache zu zustimmen und einem wenigstens eine Art Chance geben wollte. Am einfachsten würde es vermutlich sein, wenn sie dieses Prozedere einmal selbst erleben würde, aber ich wüsste nicht, wie ich Hildegard so sehr triggern sollte…
@Shay Severide